Ch. Christ-von Wedel: Die Äbtissin

Cover
Titel
Die Äbtissin, der Söldnerführer und ihre Töchter. Katharina von Zimmern im politischen Spannungsfeld der Reformationszeit
Weitere Titelangaben
unter Mitarbeit von Irene Gysel, Jeanne Pestalozzi und Marlis Stähli


Autor(en)
Christ-von Wedel, Christine
Erschienen
Zürich 2019: Theologischer Verlag Zürich
Anzahl Seiten
356 S.
Preis
CHF 38,00
von
Benjamin Hitz

Als Katharina von Zimmern, die letzte Äbtissin des Zürcher Fraumünsters, im Dezember 1524 ihre Abtei dem Rat der Stadt Zürich zur freien Verfügung übergab, tat sie dies gemäss der Übergabeurkunde aus freien Stücken und um des Friedens in Zürich Willen. Die Urkunde erwähnt ihren längst verstorbenen Vater und nicht namentlich genannte Freunde, aber keine eigentliche Begründung ihres Handelns. Da von Katharina von Zimmern sehr wenige Quellen überliefert sind, versucht die lesenswerte Studie nun, sich über den zeitgenössischen Kontext der Person und ihrer Motivation anzunähern. So wird dem Konflikt um die Auflösung des Klosters Königsfelden, dessen letzte Äbtissin eine Cousine Katharinas war, viel Platz eingeräumt. Die Königsfelder Schwestern gerieten unter massiven Druck, konnten aber keine Übergaberegelung erzielen. Angesichts dieser Schwierigkeiten sowie Bilderstürmen und Klosterumnutzungen anderswo lässt sich nachvollziehen, dass Katharina von Zimmern lieber frühzeitig ihre Abtei übergab und dabei sehr vorteilhafte Bedingungen für sich aushandeln konnte.

Auch wenn sie es nicht zur Begründung beizog, darf doch vermutet werden, dass Katharina von Zimmern mit reformatorischem Gedankengut vertraut war. Zwingli predigte auch im Fraumünster, und es sind zwei Sammelbände mit reformatorischen Schriften aus ihrem Besitz überliefert. Aufschlussreicher ist aber die überzeugende Analyse der Schnitzereien im Fraumünster, die Katharina noch vor der Reformation in Auftrag gegeben hatte. Sie lässt zumindest vermuten, dass Katharina gegenüber neuen theologischen Konzepten aufgeschlossen war.

Die Suche nach den Freunden, welche die Äbtissin berieten, führt über die naheliegenden Personen in Zwinglis Umfeld zu Herzog Ulrich von Württemberg. Dieser versuchte in den 1510er- und 20er-Jahren, sein Herzogtum zurückzuerobern, und suchte dazu Hilfe in Zürich. Ausgerechnet sein Diener und wichtigster Söldnerführer, Eberhard von Reischach, heiratete Katharina von Zimmern schon wenige Monate nach der Übergabe der Abtei. Da Reischach zu diesem Zeitpunkt in Zürich wegen illegaler Söldnerwerbung geächtet war, zog das Ehepaar nach Schaffhausen und liess sich später in Diessenhofen nieder. Erst um 1527 konnte sich Reischach Zürich wieder nähern. Er fiel 1531 in derzweiten Schlacht von Kappel.

Mit dieser Heirat und der Übergabe der Abtei handelte Katharina von Zimmern ganz offensichtlich sehr selbständig und – wie ein Familienchronist festhielt – gegen den Willen ihrer Brüder. Weiter stellt die Autorin Katharinas Fähigkeit, eigenständig zu siegeln, sowie ihre lange Witwenschaft nach Reischachs Tod als aussergewöhnlich dar Wenn auch ihre Hochzeit mit Reischach überraschend war, so sollte nicht vergessen gehen, dass eine Frau von ihrem Status gegenüber den meisten Frauen der Zeit über einen deutlich grösseren Handlungsspielraum verfügte.

Mit über vierzig Jahren gebar Katharina von Zimmern in ihrer Ehe zwei Kinder. Um sich eine Vorstellung von Sexualität und Eheleben zu machen, greift die Autorin wiederum zeitgenössische Vorstellungen auf und kann sich dabei auf ihre Erasmus-Kenntnisse stützen. Wie im ganzen Buch füllen hier allgemeine Erörterungen die Lücken der Quellenüberlieferung in Bezug auf Katharina von Zimmern. Die Autorin greift dabei regelmässig zum Kunstgriff, den Bezug zur Hauptperson des Buches in Form von Fragen herzustellen, die sich nicht beantworten lassen. Das erschien dem Rezensenten auf Dauer etwas ermüdend, und auch unnötig, denn die Ausführungen lassen ein detailliertes, weite Bereiche abdeckendes Bild der Reformationszeit in Zürich entstehen. Die zahlreichen Illustrationen runden dieses Bild in gelungener Weise ab.

Viel Raum nimmt auf diese Art die Reformationsgeschichte Zürichs bis zu den Kappeler Kriegen ein. Die Täuferfrage und Bauernunruhen werden ebenso dargestellt wie die Debatten ums Pensionenwesen und die Kappeler Kriege selbst. Eingestreut darin sind in chronologischer Reihenfolge die Abschnitte von Katharina von Zimmerns Leben. Diese lassen erkennen, dass sie über ihren Mann zwar durchaus politisch involviert war, aber sich mit anderen Problemen herumschlug – zumindest gemäss den überlieferten Quellen. So konnte sie das bei der Übergabe ausgehandelte Wohnrecht im Fraumünster der Stadt verkaufen und damit auf dem städtischen Liegenschaftsmarkt aktiv werden. Andererseits errang sie mit Unterstützung des Zürcher Rats einen Anteil am väterlichen Erbe, auf den sie zuvor hatte verzichten müssen. Diese Ausführungen, die auf neu entdeckten und in einem hervorragend erschlossenen Anhang edierten Quellen beruhen, eröffnen eine neue Perspektive, nämlich diejenige einer Adelsfamilie und ihrer zeittypischen Sorgen. Dazu gehört neben Erbfragen zum Beispiel die Situation, über verwandtschaftliche Beziehungen zu beiden Parteien eines Konflikts vielfältige Loyalitäten aufzuweisen, die ausserdem über den eidgenössischen Raum hinausgreifen.

Schon im Titel angekündigt ist der letzte hier zu erwähnende Punkt. Die Autorin kann plausibel darlegen, dass die junge Frau, deren Hochzeit Katharina von Zimmern mit Zwinglis Hilfe noch vor der Übergabe der Abtei unterstützte, mit grosser Wahrscheinlichkeit eine uneheliche Tochter von ihr und Eberhard von Reischach war. Das würde auch die schnelle Hochzeit nach der Übergabe erklären, vor allem aber rückt es die Äbtissin in ein neues Licht, das sie erst recht als selbständige Frau erscheinen lässt. Das ist ein wichtiges Verdienst dieses Buches, das sich an ein breites Publikum richtet und dieses auch verdient

Zitierweise:
Hitz, Benjamin: Rezension zu: Christ-von Wedel, Christine: Die Äbtissin, der Söldnerführer und ihre Töchter. Katharina von Zimmern im politischen Spannungsfeld der Reformationszeit, Zürich 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (3), 2021, S. 499-500. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00093>.

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